Im Getränkewahn

Im Allgemeinen glauben die Menschen des ausgehenden Spätkapitalismus, einfach mal ein Bier zu trinken sei so leicht, wie Fisch aus einem Glas zu angeln. Weit gefehlt! Es galoppieren in Getränkemarkt- Regalen heute dort, wo früher einfach Bier stand, eine apokalyptische Geschmacksnoten-Reiterschar, von denen ich mal Bier mit Zusätzen wie Holunder-Cranberry, Orange-Kiwi, Acid-Lemon und Vivid-AfrikanischerKrallenfrosch stellvertretend herausgreife. Ein Missstand, gewiss – aber wer ist verantwortlich? Naivlinge schieben dies auf abgefeimte Werbestrategen. Schuld aber ist in Wahrheit das Millionen-Heer ganz normaler Leute, die ihre spätkapitalistische Profilneurose zwingt, sich per Konsum zu versichern, nicht zu einem Millionen-Heer ganz normaler Leute zu gehören. Sie brauchen Bier, dass ihnen das Gefühl gibt, „hip“, „cool“ oder gar Revoluzzer zu sein! Dass jenes Geschmacksnoten-Armageddon eben dadurch mausgrauer Mainstream wird, enttarnte kürzlich eine große tschechische Biermarke mit dem Slogan: „Ohne Lemon! Ohne Cranberry! Ohne Bullshit!“. Die Brauerei liefert einfach nur Bier für Leute wie Sie und ich, die einzigen also, die cool genug sind, dem Massenwahn nicht blind hinterher zu stolpern. Es ist zwar fast doppelt so teuer, aber für das Gefühl gibt man doch gern etwas mehr aus, nicht? Prost!

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